KLOAKE EISKALB

Zeichnungen und Texte aus Bad Schwalbach [BS], Januar / Februar 1996,

unveröffentlicht

 

  

BSD.K. 7. 12. 2001 [ba am  01.08. 2008] von 1996

 

B. S. MATERIALIEN

 

 

KLOAKE  EISKALB [BS]: Überblendung zweier Welten:

Die geschlossene [erstarrte, vereiste] Welt KLOAKE  EISKALB nach einem festgelegten Bewegungsablauf [nach einer leerlaufenden, ins Unendliche fortlaufenden Maschinerie] und die leichte, launige [alltägliche] Welt der PERSCRUTIO [der Detektei Potu, Pontun, Tunpon], sie geraten nicht aneinander, sind aber  weitläufig verflochten zu einem Zopf aus zwei Strängen. [------------------+ das Schlangenmotiv aus BS]

 

KLOAKE  EISKALB [BS 1996]

 

Paon (der Pfau, der vor Schönheit Erstarrte)

Lynx

Lontra (der goldene Wanderer, der Schlängelnde/Flüssige, der Perscutor, die Pelzschlange)

der Wolf (le loufoque - der Verrückte, le loufiat - der Kellner, le loulou - der Spitz, la loupe - das Geschwulst, die Lupe, der Knorren, le loup-garou - der Werwolf)

++++++++++++++++++++++++++

 

Gleise, Tunnel, Eisfigur am Eingang des Tunnels, verschneite Felder, Gehöfte, die Kälte zwischen den Gehöften, eingeschneite Traktoren, ein gefrorener Mühlenbach: das ist Dolfsä. In der Dorfschenke von Dolfsä: fünf Männer.

 

- Ach.

- Hinn. Hinn ist mein Name.

- Ja, der mit der großen Frau.

- Im letzten Haus oben.

 

Hinn ist der  Wahnsinnige in Dolfsä.

 

- Sie haben die Ohrringe im Schnee wiedergefunden.

- Im Schnee gesessen und die Ohrringe gefunden.

- Haben sie auch Schnee gegessen?

 

Hinn grinst. Die anderen schauen ihn an.

- Der mit seinen Fragen.

- Mein Name ist Hinn, sagt er immer wieder,  Hinn, der mit der großen, langhaarigen  Frau, der bin ich.

 

Draußen geht Hinns Frau vorbei. Unter ihrem Wintermantel trägt sie einen schwarzen, wollenen Hosenanzug, die Hosen unten weit ausgestellt. In ruhigen Schritten umkreist sie die Dorfschenke von Dolfsä. Ausgetretene Schneespur. Eisige Kälte.

++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++

 

 

LYNX UND POTTBRULLA

 

Lynx fuhr über den Ozean. An einer flachen Küste ging er an Land und erreichte nach einer langen Wanderung die Hirudinenstadt Madda.

Lynx trug ein enges schwarzes Kleid. Er hatte einen kahlen Kopf mit einem geschminkten Schnabel und einem vergitterten Mund, der mit Pailetten, Schuppen und schillernden Farbflächen geschmückt war.

Lynx betrat die Mauern von Madda.

Die Stadt wirkte verlassen, aber er wußte, daß jemand auf ihn wartete.

Die ganze Stadt war eine verwachsene Substanz aus medizinischen Blutegeln, großen Schneckenegeln, saugenden Entenegeln und zweiäugigen Plattenegeln. Mit glänzenden Pfützen aus verflüssigter Egelmasse und von Wand zu Wand schwingenden, peitschenförmigen Fischegeln. Manchmal stopfte sich Lynx Egel in den vergitterten Mund. Die Gitterstäbe standen weit genug auseinander, daß die Egelschnüre leicht hineingleiten konnten. Die Egel hingen im Gitter wie Konfekt. Im Gegensatz zu den ineinander verwachsenen Egelmauern waren die Egelschnüre weich und pulsierend [pochend und pulsierend]. Mehrmals blieb Lynx in den hohen Egelschächten stecken, aber schließlich erreichte er das Stadtzentrum von Madda, eine sich stumm drehende Scheibe aus Egelsubstanz mit steilen Türmen und Hallen.

Lynx fuhr ein paar geisterhafte Umdrehungen auf der Scheibe mit.

Er sprang ab.

Er stand am Eingang eines schwach beleuchteten, nach unten führenden Ganges [le couloir].

Er trat ein.

Im Gang hauste die rote Rotte, rotbäuchige Geschöpfe [Geschöpfte, Abgeschöpfte, mit dem Schöpflöffel Abgeschöpfte, Schöpfwesen ] mit Krötenmasken, die sich Lynx drucksend und blähend in den Weg stellten, aber dann zur Seite sprangen. Hinter ihren Krötenmasken erkannte Lynx vollendete, weiße Gesichter. Plötzlich wurde es gleißend, als Lynx am Ende des Ganges Pottbrullas Zelle betrat[das Licht, das die Schönheit Pottbrullas ausstrahlte, ließ die Materie zerspringen; Pottbrullas Schönheit ließ die Materie zerspringen]. Pottbrulla, der zu lebenslänglicher Haft Verurteilte, hatte Lynx erwartet. Er lag auf dem Zellenboden. Er teilte seine Zelle mit einer Herde winziger Narwale. Potbrulla war über und über mit Perlen geschmückt. Er hatte weiche, blonde Haare, blaue Augen, elegante, nackte Hände und Füße, er trug einen roten Pelzmantel mit rehbraunen Manschetten, aber alles war mit Perlenschnüren überhäuft.

Pottbrulla stand auf. Die Perlenschnüre glitten an ihm herunter. Rasselten, klirrten auf den Zellenboden. Ziellos schlug Pottbrulla mit seinen eleganten, nackten Händen durch den Zellenraum. Lynx legte sich in den Gang, daß er seinen kahlen Kopf mit den vielen Schmuckstellen in Pottbrullas Zelle hineinstecken konnte. Der kreiste um sich selbst von der Fliehkraft seiner schlagenden Hände angetrieben. Pottbrulla war seiner unkontrollierten Motorik ausgeliefert, aber er trat Lynx nicht auf den kahlen Kopf oder zertrat ihm seine Schmuckstellen. Die Narwale schwebten applaudierend durch die Zelle.

Lynx schlief ein.

Pottbrulla stürzte und vergrub sich wieder unter den Perlenschnüren.

Beide waren noch sehr jung.

+++++++++++++++++++++++++++++++++++