CAFÉ BERG

[mit: Detektiv Morke]

 

 

Zwei Zößchen essen zu Mittag im Café Berg an der Aachener Straße. Ihre prallen Einkaufstüten haben sie an der Garderobe abgestellt. Ein Zößchen ißt Sauerkraut, das andere Endiviensalat. Keine weiteren Gäste bis auf Detektiv Morke. Er trägt einen engen Mantel, dunkelgrau gestreifte Hosen mit schmalem Umschlag und hat einen schwarzen, elastischen Hammerhai-Kopf.

Morke war den ganzen Vormittag ziellos auf seinem Motorrad durch die Stadt gefahren, bis er die Beschattung der beiden Zößchen aufnahm und ihnen ins Café Berg folgte. Beim Eintritt notiert er sich die Namen des Konditors und der Serviererin.

„Sie heißen?“

Die beiden hintereinander:

„Arnim.“

„Annemie.“

Dann sagen sie gleichzeitig: „Guten Tag.“

Morke:  „Guten Tag.“

Er setzt sich diskret ans Fenster und kann die beiden Zößchen ausgiebig beschatten. Trinkt Limonade. Notiert in seinem Dossier:

„11 43 h. Sauerkraut und Endiviensalat!“

Das Endiviensalatzößchen sagt: „Mit der Zeit kam ich mit dem nicht mehr klar, mit dem Gert, ich hab‘ den so oft gewaschen, morgens, abends und zwischendurch, aber bei dem Aussehen, da war nichts mehr zu machen!“

Das Sauerkrautzößchen:

„Ich weiß es ja. Es war schlimm mit dem. Und der neue, der Rainer Tüntsch? Ist der jetzt besser?“

Das Endiviensalatzößchen:

„Wenn der zu mir kommt, legt der sich auf den Bauch, macht den Mund auf und will Kartoffelpürree.“

Das Sauerkrautzößchen schüttelt vorwurfsvoll den Kopf: „Kartoffelpürree!“

 

Morke unterstreicht „Rainer Tüntsch, Kartoffelpürree, Mund auf“.

 

Das Endiviensalatzößchen:

„Hab ich immer viel im Haus, Fertigpackungen, extra für den Rainer Tüntsch.“

Morke sieht die beiden Zößchen an. Er ärgert sich über seinen Kopf.

Er sieht alles seitlich. Vorne sieht er nichts. Um die beiden Zößchen genau zu beschatten, muß er seinen Kopf oft drehen, biegen, heben und senken, was sein Verhalten in der Öffentlichkeit äußerst auffällig macht.

„Verdammt! Ich brauche einen neuen Kopf!“ denkt er. „Ich bin kein Vieh!“ Notiert in seinem Dossier: „Kopf! Neues Modell anfordern!“ Könnte ihm Arnim helfen? Oder Annemie? Aber wo sind die beiden? Die Tür zum Küchenzimmer ist geschlossen. Morke ist müde. Die beiden Zößchen reden plötzlich sehr leise miteinander. Haben sie ihn bemerkt? Morke versucht von ihren Lippen abzulesen. Ihre Lippen sind eingecremt. Morke versteht kaum etwas: „Balkonpflanze.“ „Honorar.“ „Lutschbonbon.“ „Saftige Mandelmasse.“

Oder: „... aus dem Stiebel saufen.“

Morke notiert:

„12 04 h. Eingecremte Lippen. Flüsternde Zößchen. Worte ohne Zusammenhang. Beschattung unergiebig. Arnim und Annemie sind verschwunden. 12 05 h. Samstagmittag. Was geht hier vor? Aus dem Stiebel saufen? Ich brauche einen neuen Kopf. Beschattung abgebrochen.“

 

Morke verläßt das Café Berg  ohne zu zahlen. Wem auch? Die beiden Zößchen scheinen ihn nicht zu beachten. Er verstaut das Dossier in der Satteltasche seines Motorrads und fährt mit zappelndem Hammerhei-Kopf Richtung Stadion davon.

1999

 

 

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