Die Monologe des Damenwal

aus: Abbastanza drittes Kapitel

 

Sofort war ihm alles entfallen.

Vergangenheitslos fuhr der Damenwal über den platten Ozean und übergoß ihn mit seinen unendlichen Monologen. In seinem Rachen schwappte ein See aus Sputum, von dem sich bei jedem Wort, das er murmelte, ein Tropfen löste und als geschmeidige Blase aus seinen Nüstern herauswehte.

Der Damenwal bließ Blasen. Seine Nüstern waren überschäumt mit Trauben sprudelnder, vom Zungenlicht silbrig eingeriebener Bläschen, die sich mit leisen Rasselgeräuschen ablösten und nach unten segelten. Sie verhärteten sich, wurden schwerer, fielen schneller, geradliniger, wurden holzig und schlugen tot und hart auf dem Ozean auf, während weit oben, aus den Nüstern des Damenwals, mit jedem Wort seiner Monologe wieder frische, wehende Blasen hervorsprudelten.

Er thronte auf einem anwachsenden Skelett verhärteter Speichelblasen, das sich um ihn herum ausbreitete wie ein ineinander verhaktes Floß.

 

Der Damenwal fuhr in einer mittleren Geschwindigkeit über den platten Ozean. Die Temperatur veränderte sich nicht. Es blieb windstill und dunstig. Er richtete sein Zungenlicht in den Nachthimmel oder auf den Horizont, aber da war nichts, was er hätte erkennen können.

Rauchte er?

Breite, kurze Zigaretten aus einer elastischen Spitze, zwischen zwei Worten, so rauchte er, aber selten, denn kaum unterbrach er seine unendlichen Monologe.

 

An einem Morgen - die fahlen Nächte unterschieden sich kaum von den dunstigen Tagen - näherte sich der Damenwal einer Steilküste. Hoch oben auf dem Kamm hockte der Tänzer Beil und fächelte. Er trug zwei Deckchen, eins als Kragen, eins als Lendenschurz. Der rechte, sehr lange Arm des Tänzers Beil endete in der fächelnden Hand, die aber nicht zu sehen war, weil sie im platten Ozean fächelte, während seine linke Hand, mit der er die Beile auffing und wieder von sich schleuderte, deutlich  zu sehen war.

Sie war so gepflegt!

Und so manikürt!

Der Lendenschurz verdeckte nur knapp die pralle Stulle des Tänzers Beil.

Sie war cremefarben!

Seine Ohrmuschel, er hatte nur eine, war sehr weiß, sie blendete wie ein zierliches Porzellanbecken.

Ansonsten hatte er einen  elastischen und sehr dunklen Körper.

 

Der Tänzer Beil trug ein schwarzes, schimmerndes Amulett, er ließ es über seinen Körper kullern, war es Abbastanzas öliges Auge?

Und die Hütte, die hinter ihm aus dem Sand ragte, war es Abbastanzas Hütte?

Hatte sich der Tänzer Beil seine beiden Deckchen aus Abbastanzas ruppiger Schürze genäht?

Hatte der brutale, eieräugige Fred Abbastanza nicht nur geraubt, sondern auch auseinandermontiert und über den platten Ozean verstreut?

Wo war Abbastanzas Steißbein?

 

Spielend flogen dem Tänzer Beil die Beile zu, manchmal war er beilbespickt, aber ebenso leicht, wie er die Beile auffing, konnte er sie auch wieder abgeben. Gerade hatte er sieben Beile aufgefangen und elf abgegeben, da fuhr der Damenwal, seine unendlichen Monologe murmelnd, an der Steilküste vor. Sofort flog ein  Beil in die polternde Fontäne der herabstürzenden, sich verhärtenden Blasen, hackte in eine halbharte Blase, die sofort zerplatzte, stürzte weiter nach unten und spaltete mit einem Hieb eine sehr harte Blase kurz vor dem Aufklatschen, flog steil nach oben und durchtrennte den frischen, hervorsprudelnden Blasenschaum an den Nüstern des Damenwals wie eine Fahne.

Der Tänzer Beil war zu klein, als daß der Damenwal ihn hätte erkennen können, und der Damenwal war zu mächtig und zu verdunkelnd, als daß der Tänzer Beil mehr als eine wattige Wand zu Gesicht bekommen hätte, und er hatte das schönste Gesicht aller Holothurien zusammen!

 

Federleicht flogen die Beile in das wachsende Wrack der abgestorbenen Speichelblasen und kehrten immer wieder in hohem Bogen zurück. Im Gegensatz zum Damenwal, der schlaflos murmelnd über den platten Ozean fuhr, war der Tänzer Beil ein flinkes, surrendes Motörchen am Abgrund, das Beile auffing und zurückwarf, das seine manikürte Hand spreizte, sich mit seiner cremefarbenen Stulle brüstete oder seine Deckchen vorführte, und das war erst der Anfang einer vielversprechenden Karriere.

Einmal hob der Damenwal seine Quabbe drohend über das schöne Gurkengesicht des Tänzers Beil, aber es sah nur drohend aus, denn der Damenwal konnte nicht drohen, nicht polemisieren, und er konnte sich nicht wehren.

Er wendete vor der Steilküste und fuhr weiter. Er schob seine plätschernde Bugwelle vor sich her, die Worte strömten aus seinen  Nüstern, und die verholzten Blasen torpedierten in einem senkrechten Trommelfeuer den platten Ozean, noch lange begleitet von dem leichten Surren der Beile des Tänzers Beil.

 

Der Damenwal fuhr durch öde, abgelegene Gegenden. Manchmal begegneten ihm morsche Schiffe mit schwankenden Mastkörben, in denen Matrosen mit abgekauten Kiefern lagen, von noch unendlicheren Monologen, noch flüsternder, noch murmelnder als die des Damenwals, uralte Matrosen auf die Größe von Neugeborenen geschrumpft, mit flackernden, erschöpften Augenkränzen, deren Alter der Damenwal niemals erreichen wird, denn er war eine zeitlich begrenzte Stanzpuppe, eine monumentale Ephemeride aus dem Kleiderschrank der Dauerzwitter.

Der Himmel hellte sich auf.

Luftschiffe erschienen wie spiegelnde Ellipsen über dem platten Ozean und beschossen sich gegenseitig mit Lichtstrahlen.

Die Monologe des Damenwals wurden härter.

Mit aufgerissenen Nüstern fuhr er weiter, pausenlos quollen die Blasen hervor, die sich  immer schneller verhärteten, schon oben an den Nüstern waren sie jetzt prall und holzig wie Kokosnüsse, als würde jedes Wort des Damenwals eine Totgeburt aus seinen weichen Nüstern herauspressen, matte, stumpfe Blasen, die kein Zungenlicht mehr reflektierten, die bleiern und schwer herabstürzten und ihn immer höher über den Ozean hinaushoben, bald hantierte er wie auf einem schwimmenden, stetig wachsenden Scheiterhaufen, und dabei wurde er immer duftiger und feiner. Einige der harten Blasen türmten sich zu Masten und Takelagen übereinander, wo der Damenwal seine Kleider zum Trocknen aufhängen konnte, und das Ganze wirkte wie ein Gaffelschoner.

Am Horizont erschien ein Ozeanhafen wie ein liegender Stab.

In einem weich fallenden, sehr durchsichtigen Kleid blähte sich der Damenwal auf dem Gipfel seiner holzigen Blasenkonstruktion, als er in das Hafenbecken einfuhr. Die Masse der toten Blasen brach auseinander und verteilte sich als dümpelndes Treibgut zwischen den ankernden Schiffen. Elegant sprang der Damenwal hinunter auf die Mole, richtete sich aber sofort wieder zu seiner quälenden Größe auf. Das Zungenlicht versilberte seinen Rachen.

Der Damenwal wartete.

Dunkel stand seine Quabbe über der Mole.

Er dröhnte.

Er döste.

So wird ihn Tanfo finden.

1994 - 2000

 

 

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