DIWAN                                                                                                                   zu den Digitalzeichnungen DIWAN

Istanbul 1995, letzte Bearbeitung Juni 2012

 

Darsteller: Kastrat Ullsch

 

Kennedy Caddesi

 

DIE WESPE

 

Wie schmeckt es der Wespe?

Der Wespe schmeckt es gut. Immer wieder schiebt sie sich ein neues Stück Schuhcreme in den Mund. Sie hat einen goldenen Stachel, aber ihr schmeckt es ja so gut.

Da sitzt sie wieder und kaut.

Wie dünn ist sie geworden!

Obwohl es ihr doch so gut schmeckt!

Schon wieder greift sie nach einem Stück Schuhcreme. Sie ißt nichts anderes.

So dünn hängt sie an der Mole!

Wie eine Suppenwespe!

Aber ihr schmeckt ja nur Schuhcreme!

„Puh, puh!“ Kastrat Ullsch wendet sich ab. Er trägt keine Schuhe. Er rutscht. Für ihn ist die ganze Welt (Weltfläche, Oberfläche) ein weit ausgebreitetes Sitzkissen. Auf dem er rutscht.

 

Taksimplatz

TOYA

 

„Jetzt sind Sie dran. Los, auf die Schiene!“

„Wer?“

„Ja Sie!“

Träumerisch dreht sich Kastrat Ullsch um. Die Wespe surrt noch in seinem Kopf.

„Schluß mit der Wespe, auf die Schiene! Los!“

Kastrat Ullsch tritt auf die Schiene.

Die Geschäfte haben geschlossen. Die Straße liegt in der Dämmerung. Die Leuchtschriften flackern. In diesen Lichtverhältnisen geht Kastrat Ullsch los.

„Toya, Toya,“ klingelt es tief, tief in seinem luftigen, fetten Leib, aber man hört es deutlich, „Toya,Toya“.

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Üsküdar

 

Kastrat Ullsch.

Weiß. Körperlich fett mit einigen mageren Stellen wie Hals, Brustwarzen, Lippen.

 

So kann Kastrat Ullsch seinen mageren Hals zierlich mit Draht umwickeln.

Mit seinen rutenförmigen Brustwarzen kann er beiläufig trommeln, einfache Rhythmen in immer wiederkehrenden Mäandern.

Und die ausgedünnten Lippen kann er gut schürzen.

 

Mit Tee,  Handtasche, brennenden Augen, Zigarette, benimmt er sich exaltiert, wenn er Tee in seine Handtasche gießt, Zigaretten in der Suppe ausdrückt, seine brennenden Augen durchs Resturant rollen läßt, unter die Tische, wie benimmt sich Kastrat Ullsch hier, lebt er seit fünfzig Jahren in der Stadt und kann er es sich leisten?

 

Wäre da nicht Ruch, der gläserne Hängemensch, oben an der Decke, mit seinen gläsernen Kolben, seinem beliebten Leib, mit den beliebten Schnüren, auch seine Gravuren sind beliebt und seine Gläser: ab heute sehr beliebt.

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Kennedy Caddesi

 

Ein Tonband mit einer plärrenden Kinderstimme.

Dosen.

Auf den Wellen treiben Dosen, wippen, nicken. Es sind Stimmdosen.

In den Dosen laufen die Tonbänder mit den plärrenden Kinderstimmen, kratzig, auf- und abschwellend, wenn sie auf den Wellen tanzen.

 

Yeni Ceriler Caddesi

 

rosa Zettel mit türkisfarbener Tinte:

 

Plan einer Welt anfertigen, die sich unendlich fortsetzt auch im Geschrei und in der Nacht, fortlaufend ob im Sack oder an der Treppe.

 

Hotel Oral

 

Im Hotel Oral tragen die Klienten braune Hosen. Und was sonst noch? Fest eingewickelte Hände, aus denen je zwei Stumpen herausschauen.

 

Azimkar Sokagi

 

Lackpuppe

 

Arme oben, unten.

Lackhemdchen und Lackhöschen.

Arme oben, unten.

Umbragraue, wollige Locken

Wird von Kastrat Ullsch umrundet. Die Lackpuppe ist die Achse des weltüberspannenden Sitzkissens.

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Cagaloglu

 

Skizzenblock, Rauchercafé, abends

Katze und Raucher

 

Katze Olay

(olay - das Ereignis)

 

Oberlippe gesprenkelt

 

braungelbe Kuppel

 

die Figur Ruch, der gäserne Hängemensch

 

Kösekök

(köse -. mit schwachem Bartwuchs, kök - Wurzel)

Hat Zwiebeln in den Locken, hat rotbraune Locken, schüttelt Zwiebeln aus den Locken, dieser Kösekök!

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Yeni Ceriler Caddesi

 

Kastrat Ullsch im Zuckergeschäft

Kastrat Ullsch kommt nicht alleine ins Zuckergeschäft. Er ist in Begleitung von Pervana (pervane - Nachtfalter, Propeller, Schiffsschraube) einer rohen, schlachtartigen Person, und der Kastrat Ullsch, wie weh ist ihm.

 

Sagt der Kastrat Ullsch etwas, piepst er mit seiner weichen, flötenartigen, überblasenen Fistelstimme.

Schweigt er, dann klingelt er. Es klingelt in ihm permanent, sehr, sehr leise. aber wenn sich Ohren seiner fetten Körperform dicht genug nähern, können sie es hören. (oder: ... wenn man sich dicht genug seiner ............ kann man es hören.)

 

In Begleitung von Pervana, die einen abgeschabten Pelzmantel trägt und raucht, singt Kastrat Ullsch eine Strophe, die er ständig wiederholt, auch jetzt im Zuckergeschäft, und wenn er singt, dann klingelt es:

 

„Ba by Zynz,

oh oh oh,

Ba by Zanz,

oh oh oh,

Ba by Zynzzanz,

oh komm doch vorbei!“

 

Und dann fragt Kastrat Ullsch im Zuckergeschäft nach einer Tüte.

„Haben Sie eine?“ piepst er die Zuckerverkäuferin an. „Oder sogar einen Sack?“

Die Zuckerverkäuferin bleibt hinten bei den Regalen stehen. Sie ist ein vollkommenes Meeressäugetier.

Kastrat Ullsch: piepst klingelnd, piepst das Meeressäugetier an, das zuckerverkaufende Meeressäugetier wird von Kastrat Ullsch permanent angepiepst: „Haben sie eine, haben sie eine, eine nur, oder sogar einen Sack?“

 

In dieser Stellung wird das Tableau lackiert und abgegossen. Eine Planskizze anfertigen: Pervana, Kastrat Ullsch, hintere Regale, die Zuckerverkäuferin, das vollkommene Meeressäugetier (steht zwar hinten, aber etwas erhöht), wieviele Zuckertüten, auch Würfelzucker?

Durch die staubige Fensterscheibe sieht man den Eingang zu einer Moschee, Männer, die sich die Schuhe ausziehen.

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Kennedy Caddesi

Zeichnung siehe Exacompta Abbastanza, Seite 61

 

Aus den Kiemen der Abstraktion,

der Rest Leuchtfell,

die feste Milch.

 

In dieser Reihenfolge findet die Landung auf dem Pferdemarkt statt, einem Platz, der dicht mit Pferden beschichtet ist, von weitem betrachtet wirken die aneinandergedrängten Pferdeleiber wie ein Schuppenmuster.

Vom Pferdemarkt zum Fischmarkt.

Weitläufig der Fischmarkt. Wenige Fische, Krabben. Kiemen die im salzigen Wind auf- und zuklappen. Kaum Fischverkäufer, kaum Kunden, kaum einer, der an einer Kieme zupft.

Ein Kiemenmarkt, locker über die Tische verteilte Kiemen und dazwischen wenige Fische, Krabben.

Die Karawane im Kopf von Kastrat Ullsch, die ständig in seinem Kopf ihre Pakete abwirft, erst hat sie dem Kastrat Ullsch den Kopf aufgemacht, und seitdem zieht sie dort ihre Bahnen, wirft Pakete ab, es ist Kastrat Ullschs kleiner Kopf, winzig im Gegensatz zu seiner dickwandigen Kopfhaut.

Tief im Innern von Kastrat Ullsch klingelt es, tief in seinem kleinen Kopf ist die Karawane unterwegs.

„Pliehs, miehster, wie ist das zu verstehen?“ klingelt es in Kastrat Ullsch.

Üsküdar

 

Es klingelt tief im Innern von Kastrat Ullsch.

In seiner Leibeshöhle ist ein fast absichtsloses, permanentes Klingeln, ein leises Läuten, während in seiner kleinen Kopfhöhle leichte Rieselgeräusche, dumpfes Schlurfen und Scheuern, vermummte Rufe, gedämpftes Aufklatschen im Sand und heiseres Blöken zu hören sind. Aber die Geräusche dringen nicht nach draußen, da Kastrat Ullschs Kopfhaut zu dickwandig ist, eine undurchdringliche Schwarte, an der Oberfläche glänzend poliert, geschliffen und lackiert..

Dagegen ist die fette Ummantelung der enormen Leibeshöhle Kastrat Ullschs so geräuschdurchlässig, daß oft ein leises Klingeln zu hören ist.

Kastrat Ullsch ist fettleibig, zänkisch und reizbar, jedem Realismus abhold, künstliche Kunstfigur, von fettleibiger, abnorm vergrößerter Gesrtalt, ein abnorm aufgedunsener Porzellanpott, mit den wenigen mageren Stellen (Lippen, drahtiger Hals).

 

Die inneren Lieder von Kastrat Ullsch. Es sind drei. Manchmal schließt er seine Lippen nicht mehr und singt sie immer wieder. Fragt er sich, wie er das aushält. Nein, er fragt sich nichts! Er ist fett.

 

 

erstes Lied:

 

„Pobb plond pobb praun,

pisch piebe palle Praun.“

 

zweites Lied:

 

„Piving Poll“

 

 

drittes Lied:

 

„Pisch pabe pain Piffenpüppchen pühs pund peizend pieh puh,

puh puh puh puh puh,

pepaupiepuh,

pu ... u ... uh,

pepaupiepuh

pu .... uh.

Penn pann pieh piederpegt pacht pieh pie Paugen puh,

puh puh puh puh puh,

papaupiepuh,

pu ... u ... uh,

pepaupiepuh,

pu .... uh.“

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[_______________+ siehe Sarrasine von Honoré de Balzac, die Anhängsel, in Schlaufen anhängen wie die Figur Handschuhwaschlappenbrennen;

Auszüge aus der Figur Handschuhwaschlappenbrennen auf Kastrat Ullsch übertragen., oder hinzufügen, als Doppelperson, als Vorperson, den Hängemensch Ruch ersetzen durch Handschuhwaschlappenbrennen, oder Handschuhwaschlappenbrennen und Ruch gemeinsam als Nebenpersonen auftreten lassen, Handschuhwaschlappenbrennen ist eindeutig in seiner Aussage, er sagt immer nur „Sau!“, während aus Ruchs geschlossenen Lippen neblig trübe Satzfahnen herauswehen]

 

Während es zart und glockenhell in Kastrat Ullsch klingelt, tönt es plötzlich mit tiefer, verrauchter, röhrender Stimme von hinten, „Sau!“

„Ach, du bist es wieder.“

„Sau!“

Zunächst eine strenge Betonung, wie ein Befehl, auf Sa, dann ein langanhaltendes, weiches, ausklingendes, entschwindendes u.

Ein harsches und barsches Sa!, ein in den Weltraum entführendes uu u u  u  u   u   u    u    u     u     u     

Und Ruch?

Ein Sirren und Schwirren aus feinster Folie nicht nachzumachen, nicht zu imitieren oder zu übersetzen, ein sirrendes, schwirrendes Sehnen, genug genug, ein anderes Problem ist Kastrat Ullschs großes Brustkorbgebiet, seine dicht beieinander- und übereinanderliegenden, unnatürlich aussehenden Speck- und Brustkörbe, die müßte man hinten verkürzen, dann würden sie mehr zur Seite wandern. Und wenn das immer noch nicht reicht, dann muß mann den Seitenschneider ansetzen, aber Kastrat Ullsch anschneiden?

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Das Exil des Kastraten Ullsch

 

Zwei Pforten ..... Zähnchen ..... Fleck ..... weiße Schulter ..... streift ..... Imgesicht ..... offen ..... Nasen waren ..... bückt, riffelt ..... hat den Hals im Gesicht ..... Imgesicht hat nur einen Hals ..... Imgesicht besteht nur aus einem Hals ..... und der Hals ist das Beste! ..... Das Beste? ..... Der Hals. ..... Bissen ..... Hipnoza Bissen (hipnoz türk. Hypnose) ..... Hipnoza Bissen, auch sie hat nur einen Hals, sonst nichts, auch ihr Hals ist das Beste ..... flockt ..... spiegelt ..... hintensinkt

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Von den stickigen Zimmern hinaus auf die Bühne. Da vollenden sich die hermaphroditischen Wunschträume. Die Spekulationen. Umjubelt, verfolgt, im Mittelpunkt der Gesellschaft. Auch wenn sein Körperumfang ihn nicht zum Publikumsliebling prädestinierte. Er stand auf der Bühne wie eine Wanne, ein Faß, ein Bottich, Kastrat Ullsch war ein weiß gepuderter Speck- und Fettberg, in dem es betörend klingelte, glockenhell piepste und glasklar läutete, aus dem ständig ein reines, durchsichtiges Gepiepse herausrieselte. Aufs Publikum hinunter. Das wurde zunehmend gepiepseberieselt, gepiepseüberrieselt und gepiepsezugerieselt.

 

Kam er je wieder von der Bühne herunter? Die Bühnenausgänge waren zu klein, die Bühne zu hoch, die Hauptausgänge zu schmal, die komplette Bühnenmaschinerie war einbetoniert, da wird Kastrat Ullsch noch lange im Bühnenbunker klingeln, piepsen, läuten, anläuten, glasklar, glockenhell, rein, betörend.

Als der Kastrat Ullsch noch Vogelbücher las. Tischtennis spielte. Mit Schrecken. Die panische Angst Kastrat Ullschs vor Vogelbüchern und Tischtennis.

 

 

Einleitungskapitel zu D I W A N Nachtrag

Handschriftlich am 10. April 1995, Flughafen Düsseldorf

Typoscript vom 24. April 1995, Köln

 

Ist er auf dem Weg zu seinen Vogelbüchern, er hat ein ganzes Haus nur für seine Vogelbücher, er kommt vom Tischtennisspielen, macht er einen Umweg über den Friedhof, öffnet eine Grablampe, aus der eine Blaumeise herausfliegt. Trägt noch Tischtenniskleidung, Socken, ärmelloser Pullover.

„Eine Blaumeise, eine Blaumeise!“

Säuselt es, klingelt es glockenhell.

Wo?

Im (oder in der:):

 

Speck- und Fettberg.

Speck- und Fettfaß.

Speck- und Fettbottich.

Speck- und Fettwanne.

Speck- und Fettschaumstoff.

Speck- und Fetttrog.

Speck- und Fettkübel.

Speck- und Fettbecken.

Speck- und Fettbusen.

Speck- und Fettwampe.

Speck- und Fettwamme.

Speck- und Fetttank.

Speck- und Fettkuttel.

Speck- und Fettgummi.

Speck- und Fettwanst.

Speck- und Fetteuter.

Speck- und Fetthaufen.

Speck- und Fettgrotte.

Speck- und Fettkloake.

Speck- und Fettpudding.

Speck- und Fettbombe.

Speck- und Fettzuber.

Speck- und Fettschlauch.

Speck- und Fettknetmasse.

 

 

Die Blaumeise wohnt in der Grablampe, denn sie bietet genügend Schutz und hat zum Herein- und Herausschlüpfen Ritze, Schlitze. Auch hier ist ein Heim. Sogar hier, in dieser Grablampe! Kastrat Ullsch freut sich. Mehrmals bückt er sich. Und reckt sich. Die Blaumeise schwirrt um ihn herum. Bückt sich, reckt sich. Der Speck- und Fetthaufen auf dem Friedhof. Es dunkelt schon. Er schließt die Grablampe wieder. Die Blaumeise huscht durch einen Schlitz, Ritz wieder hinein. Kastrat Ullsch zieht die Tischtenniskleidung, Socken, ärmelloser Pullover, aus und schlüpft in eine Lesejacke, die kaum die Schultern des Speck- und Fetthaufens bedeckt und macht sich endgültig auf zu den Vogelbüchern. Es ist ein weiter Weg. Es ist nicht in der Nähe . (Eine Auflistung der Vogelbücher, die Kastrat Ullsch erwarten) Das war ein kleiner Umweg über über den Friedhof. Von der Tischtennisplatte zu den Vogelbüchern. Kastrat Ullschs Angst vor dem Tischtennis hat sich gelegt, auf dem Friedhof (Blaumeise, Schlitze, Ritze) hat er sich beruhigt, aber jetzt steigert sich zunehmend sein Entsetzen vor den Vogelbüchern, seine panische Angst, der entsetzliche Schrecken, der ihn befällt, wenn er das erste Vogelbuch aufschlägt (oder den Tischtennisschläger in die Hand nimmt), Terror der Angst, der reinen Angst.

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im Bus

Diwan - die Stadt der Hälse

 

Die Hände dick und schrundig. Streichen über eine tautropfenklare Kette.

(Jeder kleinste Text wiederholt als Ornament den Gesamtplan, die Struktur eines Steinchens entspricht dem gesamten Mosaik)

 

Kastrat Ullsch in der Türbe, zwischen den Türben

hellblau

umbra

olivgrün

dunkelgelb

braun

gelb

 

Die Unterbrechung des Fächelns. Das Fächeln muß unterbrochen werden.

„Das ist die Lösung,“ singt der Kastrat Ullsch.

„Was?“ fragen sich zufällige Passanten, „Der singt doch sonst vom Baby Zinszans, und jetzt gibt er praktische Ratschläge?“

Ja!

Das Fächeln unterbrechen, innehalten, die Hände entspannen, ausschütteln, auswedeln, hinlegen, etwas warten und dann weiterfächeln, im weichen Meerwasser, mit leichten, kindlichen Fächelbewegungen, ein erfrischtes, gestärktes Weiterfächeln, ein unaufhörliches Gesamtfächeln, die Unterbrechungen werden dann zunehmend seltener.

musée océanique, Monte Carlo,

Kastrat Ullsch und Tänzer Beil, Büyük Ada

 

Mit dem feuchten Blick des Krakens.

Der Kraken der Abstraktion.

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Wenn Kastrat Ullsch hingerichtet wird, ruft er aus,

„Wie hübsch!“

oder,

„Wie es hübscht, so hübschend!“

Dann ist er auf dem Höhepunkt seiner Hübschheit, jedesmal vor einer Hinrichtung. Aufs Neue. Auch nachts. Kastrat Ullsch wird immer wieder hingerichtet.

„Oh, Hübsches passiert mit mir!“ klingelt und läutet es tief in ihm drinnen, weit entfernt von seiner Außenhaut. (die Espenblätter)

Hinrichtungsszenen werden nicht beschrieben, außer Kastrat Ullschs Kommentaren wie z.b.:

„Oh, diesmal war es wieder überaus hübsch, und so hübsch eingefädelt!“

Oder auch:

„Extremhübsch!“

Und:

„Hübsch hingerichtet!“

Oder:

„Hingehübscht!“

 

Yeni Ceriler Caddesi

 

rosa Zettel mit türkisfarbener Tinte:

 

Plan einer Welt anfertigen, die sich unendlich fortsetzt auch im Geschrei und in der Nacht, fortlaufend ob im Sack oder an der Treppe

 

KASTRAT ULLSCH auf dem lackierten Plateau

[aus der Tiefe der Fettwanst-Ummantelung, letzter Teil der Vorstellung]

Nachtrag zu DIWAN, Mai 2012

 

Kastrat Ullsch, eine Apparatur aus Fettwanst, geschwollener Oberlippe, lang gezogenen Brustwarzen, verborgener Klingelanlage;  in seinem tütenförmigen Kopf wirft eine pochende Karawane ihre Packen ab. Er hat zwei Trommeln. Er könnte jetzt, da er gereift ist, trotz seiner Veranlagung, an etwas denken, das ihn freihält von weiteren Gemütszuständen und Geburten vor allem, dieses permanente Gebären, dieses aus der Salzkruste aufbrechen, das Aufbrechen der  vielen Salzkrusten, wieviele Salzkrusten hat er mit seinem Fettwanst schon durchbrochen, wie die Salzkrusten zerborsten sind unter seinem donnernden Fettwanst, ja!

Aber was will er? Er ist nicht Perlboot, Paull oder Porn, er ist der Kastrat Ullsch, er hat eine herrliche Kopftüte, die er ausladend hin- und her  rollen  und präsentieren kann über seine hängenden Schultern, und sein Fettwanst sieht von weitem aus wie ein gigantischer Diabolo aus den verschiedensten Utensilien gefertigt, Knochen, Sehnen, Draht, Metallfolie, Haut und Fleischmasse mit Fett.  Er trommelt mit seinen langgezogenen Brustwarzen auf seine Darabukkas.  Er kippt kreisförmig und schwingt sich.  Er titscht auf und zeichnet Muster auf den Boden mit der knorpeligen Kante seines Fettwanstes. Er wirft sich ziellos über das lackierte Plateau, auf dem er jetzt gelandet ist nach einer kurzen Phase torkelnd durch den Weltraum als  plumpes Projektil.  Alles untermalt von seinem glockenhellen Läuten, von seiner tief im Fettwanst verborgenen, geschützten Klingelmaschinerie, seinem Klöppelmechanismus.  Wie er läutet hier auf dem lackierten Plateau, der ganze Aufwand seiner Fettwanst - Konstruktion dient nur dazu, daß er immer wieder läutet und klingelt, weil er ein complizirrtes Modell ist, und er läuten muß tief in seinem Innern!  Lange läuten auf dem lackierten Plateau mit wenigen Lichtreflexen. Seine Kopftüte, sein kleines Gehirn mit den pochenden Karawanen, übertönt vom permaneten Läuten seines Fettwanstes.  Auch Olrike war  ganz in seiner Nähe, mit kilometerlang aufgeblasenen  Haaren, die sie über das lackierte Plateau zog. Erst stand sie auf dem einzigen Krater weit und breit, am Kraterrand , da hat er sie fixiert, deutlich waren ihre vier Arme zu sehen, dann hat sie ihre Haare aufgeblasen und ist hinunter gestürzt auf das lackierte Plateau.  Er träumt. War Olrike seine Komplizin?   Wie ein Molch wälzte sie sich, ohne Anfang und Ende, Olrike, rutschend, vierarmig, zweibeinig, mit den aufgeblasenen Haaren, war schneller als er,  hätte er sich gerne von ihr erdrosseln lassen, wie angenehm, aber sie wälzte sich an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten, überholte ihn, da war sie verschwunden und er war wieder alleine auf dem lackierten Plateau und klingelt  glockenhell aus seinem Fettwanst, sein zerbrechlich klirrendes Geläute.  Olrike war fort.  Wie sein Lederrock. Hatte er einen schönen, magentafarbenen und extrem kurz, aber er wurde zu eng, sein Fettwanst quetschte, der Lederrock begann einzureißen, und dann ist er von ihm abgerutscht und fort gesprungen, ziellos über das lackierte Plateau gerollt und weit draußen schließlich vor Erschöpfung liegen geblieben.  So ist sein Leben. Ohne Lederrock. Klein und zierlich. In dieser Zierlichkeit gelegentlich eine Weite.  Und immer ist er verfettet.  Ein kastrierter, monumentaler Bühnen-Fettwanst.  Aber zurücklehnen kann er sich nicht. Trotz seiner ansonsten vielschichtigen Übungen. Lehnt er sich zurück, kippt er gleich hintenüber, und reißt die Wandverkleidung, gegen die er sich lehnen wollte, herunter und beschädige seinen Fettwanst an den Stacheln und Splittern der zerstörten Wand. Was ist über sein Gehör zu sagen? Seine müden Augenhöhlen sind deutlich, können nicht täuschen, aber die Ohren, seine Ohren, sind sie da? Nichts, so ist es,  Arme und Beine sind von seinem Fettwanst verschluckt, überlappt, er trommelt langsam auf seinen kleinen, ockerfarbenen Darabukkas, ein  Schlag und dann  lange nichts bis zum nächsten, aber er klingelt und läutet permanent.  Sein Wesen, wie wird er verwesen, wie wird er einhergehen, er trommelt, er läutet.

Die Vorstellung ist vorbei, die letzten Gäste sind gegangen, verschwunden, haben alles mitgenommen, Requisiten, Vorhang, das ganze Bühnenmobilar, die Bühne leer, ein weites Hochplateau das über die Kanten schwappt, ein verlassener Krater, denn auch den Aufbau aus Lack und Schlamm, die komplette Stadtanlage und Olrike zusammengerollt wie einen Teppich haben die allerletzten Gäste mitgenommen, nur den Kastrat Ullsch haben sie da gelassen, er war zu schwer, er passte in keinen Koffer, in keine Kiste, und auch ein Container könnte seinen Fettwanst kaum fassen, seine complette Fettwanst-Construction dümpelt jetzt alleine über das lackierte Plateau, ein monumentales Fahrzeug mit peitschenknallenden Brustwarzen, ein Wrack aus vernähten  Fettschichten mit einer pochenden Karawane im kleinen Hirn, das ist er, und es läutet in ihm permanent, ein Glockenspiel im zarten Luftzug.

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