Ponnlorf

eine Horrorerzählung

 

I

 

Monika trägt ein Haushaltssieb, ihre Cousine ein Einmachglas. Die beiden gehen zur Parkanlage am Bahnhof mit Fontänen, Skulpturen und Wasserbecken.

Sie wollen Wasserläufer fangen. Die Wasserläufer sind schnell. Sie fliegen über die Wasserfläche, gefolgt von ihren kreuzförmigen Schatten auf dem Beckenboden.

 

Monika ist ganz vernarrt in ihre Schildkröte und in weiße Sahne, in Sahniges, Rahmiges und Cremiges, in Dickflüssiges und Zähfließendes, sie lutscht an Sahneheringen, leckt Rahmtöpfe aus, schlürft pappigen Schmand aus der Milchflasche, während ihre Cousine, die schon enge Röcke trägt, oft Matrosenköpfe in feiner, mosaikartiger Aquarelltechnik malt, blauäugige, braun gebrannte Matrosenköpfe mit weißen Mützen vor Palmen und blauem Horizont.

 

Die Wasserläufer sind zu schnell. Das Haushaltssieb ist zu kurzstielig. Monika wäre mehrmals fast ins Wasser gefallen, hätte ihre Cousine sie nicht immer wieder festgehalten. Schmollend gehen sie ohne Wasserläufer nach hause. Monikas Cousine kann in ihrem engen Rock nur kleine Schritte machen, obwohl es sie zu einem noch unfertigen Matrosenkopf drängt. Monika muß dringend ihre Schildkröte füttern.

 

 

II

 

Zu hause sitzt die Familie in der Küche  und drängt sich um einen gerade zurückgekehrten Reiseleiter. Jeder hält ein Glas mit heißem Wasser, an dem er gelegentlich nippt. Auch Monikas Cousine holt sich ein Glas, und setzt sich in die Ecke zu ihrem Matrosenkopf. Monika nimmt ihre Schildkröte aus der Kiste. Sie heißt Ponnlorf. Sie zappelt. Sie spritzt weißliche Tropfen auf Monikas Perlenkette. Monika hält ihr ein Salatblatt hin und eine Muschelschale. Ponnlorf frißt. Dann nimmt Monika ein Läppchen, ein Stück Butter und verschwindet mit Ponnlorf im Nebenzimmer. Staunend umzingelt die Familie den Reiseleiter. Monika legt sich ins Bett. Läßt Ponnlorf über ihren Busen krabbeln und nach ihren glatten, rötlich blonden Haaren schnappen. Schräg neben dem Bett steht ein Rauchertischchen. Früher war es ein schönes, vierfüßiges, dunkel gebeiztes Rauchertischchen mit Zwischenablage und eingelassenem Aschenbecher aus Glas, aber jetzt wird es nur noch als Abort benutzt, es ist schmutzverkrustet und verschmiert, ein ehemals erstklassiges, elegantes, aber jetzt übelriechendes, morsches, vermodertes Rauchertischchen.

Monika läßt Ponnlorf krabbeln und lecken. Sie reibt ihren Panzer mit Butter ein, poliert ihn mit dem Läppchen bis er golden glänzt.

Köstlich vermischen sich die verschiedensten Geschmacksrichtungen: der kalte, düstere Geruch Ponnlorfs, der Butterduft auf ihrem Panzer, Monikas eigene Bettwärme und der beißende Gestank des vermoderten Rauchertischchens.

 

Was für ein Krach!

Monika schlägt die Bettdecke zurück und läuft zur Küchentür. Sie späht durchs Schlüsselloch. Die Situation hat sich völlig geändert. Der Reiseleiter verteilt Tintenfische. Die Familie tobt. Durch die Küche fliegen  sandige Saugnäpfe, zuckende Tentakeln, scharfe Schnäbel, und die Wand ist voller Tintenklekse. Über allen thront der Reiseleiter in verschwitztem Khakihemd, reißt Monikas Cousine an sich, zieht pausenlos frische Tintenfische aus seinem fellbespannten Rucksack und wirft sie durch die Küche.

   „Leider sind es keine Sahneheringe!“ denkt Monika.

Sie richtet sich auf und geht wieder ins Bett, wo sie von Ponnlorf schon mit schnappendem, rotem Rachen und goldfunkelndem Panzer erwartet wird.

 

 

III

 

Fünfhundert Jahre später.

Aufgedunsen dümpelt Monika über das Meer. Eine willenlose Blase, aber das ist kein Einzelfall. Als aktive Darstellerin ist sie nicht mehr zu gebrauchen, ihre ganze Erscheinung ist aus der Mode gekommen, ein Auslaufmodell. Auch Monikas Cousine, der Reiseleiter, die Familie, die Tintenfische, das Rauchertischchen und die Wasserläufer, sie alle sind zusammengefaltet, geknickt, verstaut, verteilt auf verschiedene Schubladen, werden verramscht.

So bietet sich fünfhundert Jahre später dieses Bild: Regale mit verstaubter Brut, eine schwimmende Blase am vorderen Bühnenrand und im Hintergrund, über einer Steilküste, liegt die unsterbliche Ponnlorf mit funkelnder Perlenkette, versteinertem Hals und felsigen Kiefern, und sie verströmt eine tödliche Kälte.

Wo bleibt das Entsetzen?

Der Schrecken?

Die Kolik?

Keine Zeit. Donnernd bricht Ponnlorfs versteinerter Hals auseinander und die Trümmer umrunden den Planeten in wenigen Sekunden.

Schlußbild. Der Planet driftet ab. Die Perlenkette reißt auseinander und ordnet sich zu einem strahlenden Kometen.

1998

 

 

.