Porn

the temple of beauty and death

 

Paris 2009 - Düsseldorf 2012

 

 

Die Fabrik pulsierte.

Rohre bäumten sich auf,  peitschten auf vibrierende Kessel, Ventile explodierten, aus geplatzten Leitungen spritzte ätzende Lauge gegen glühende Schornsteine, Stahlwalzen verkanteten sich, kreischten auf, rollten steuerlos durch die Werkshallen, aus verschimmelten Tunneln brachen feuchte Luftklumpen hervor, verpufften an überhitzten Baracken, in denen sich die Fensterscheiben zu wabernden Glasblasen umstülpten, zäher Nebel quoll aus überfüllten Laboratorien, kugelte sich  in schmierigen Locken über den Boden,  Kühltürme zuckten im zischenden Dampf, schälten sich aus ihren Stahlskeletten,  Holzplanken rotierten im weißen Dunst, Lautsprecher an morschen Schuppenwänden röchelten,  in  dunklen Ställen stapelten sich verweste Tierleichen mit bleckenden Schädeln, überladene Züge schlingerten, entgleisten auf ausgeleierten Schienen, weiße Kanäle höhlten die Fundamente aus, auf hohen Uhrentürmen flimmerten federnde Zeiger, in endlosen Gängen heulten  aus der Verankerung gerissene Sirenen,  gegorener Schlamm verbrühte in schmutzstarrenden Becken zu einer messerscharfen Kruste, essiggelbe Flocken wehten über poröse Kanäle, verklebten in sauren Kugeln, steile Leitern knickten ein im chemikalisch fauchenden Sturm, in stickigen Trögen verrührte sich wattiger Unschlitt zu giftigem Schaum, kranzförmig verschweißte, monumentale Kanonen richteten ihre dröhnenden Mündungen aufwärts, haushohe Metallbuchstaben artikulierten  propandagistische Parolen, und in Stoßzeiten drängten sich Abertausende gieriger Henkermenschen in die überkochenden Kantinen.

 

Porn arbeitete in den weißen Kanälen. 

Sie stand  an einem Bottich und verquirlte Kreide,  Alabaster, Urinstein und Essig zu einem flüssigen Brei, den die Rohre ins Zentrum der Fabrik pumpten, wo er, getrocknet und  fein zermahlen,  von den monumentalen Kanonen ausgespien wurde, ein zartes, weißes Pulver, das ständig in dichten Schwaden auf die Welt hinunterrieselte.

In der Loge am  Tor saß Lalka, die Pförtnerin, ein zierliches, blauäugiges  Geschöpf mit hakenförmigen Haarsträhnen, das sich seit Jahrhunderten ununterbrochen schminkte, aber trotz der Last der fossilen Make-up-Schichten und  Kratern aus versteinertem Kompaktpuder  gebärdete sie sich voller Anmut,  in kleinsten Schritten, weil ihr Rock so eng war,  mit  eleganten Fingernägeln, kleinen Füßen in steilen Pömps, und zwischen den kosmetisch-zerklüfteten Schrunden ruhte ihr blaues, pupillenloses Auge,  in zeitloser Präzision und von düsteren Kajalschlingen verdrahtet.

In einem Käfig hoch oben am Kühlturm spielte Giacco mit seinen Puppen, ein roher Mann in Uniform,  mit bösartig grinsendem Gesicht, in das der Ruß aus vielen Jahren eingewachsen war,  ein Mann in der Farbe von gegrilltem Leberfleisch, mit dürrem Hals, ein  ständig Zigarren rauchender Mann, der mit toter Stimme seine Puppen kommandierte. Der Käfig war voll von ihnen, grüne, springende Puppen in durchscheinenden Tüllkleidchen,  mit scheuen, großäugigen Köpfen und  schlanken Sprungbeinen.

 

Abends schloß Lalka  das Rollgitter ihrer Loge, wartete auf Porn, und zusammen verließen sie die Fabrik.  In vollkommener Schönheit gingen sie nebeneinander mit vielen anderen Henkermenschen auf der Henkermenschstraße, einer der zahlreichen Industriestraßen, die sternförmig aus der Fabrik herausführten. Lalka machte kleinste, kratzige Schritte, Porn bewegte sich mit teleskopartiger Eleganz, und obwohl sie Lalka um das vierfache überragte, hatten beide die dieselbe Schuhgröße.  Lalka zupfte an ihren hakenförmigen Haarsträhnen, die sich apart gegen die leuchtenden Riesenkonglomerate weißen Pulvers am abendlichen Himmel abhoben.

 

Porn zirpte, während Lalka ihre von Millionen Lippenstiften versteinerten Lippen aufriss und auf eine kindliche Art kiekste.

 

Die Fabrik war von  weitläufigen Triften umgeben, mit spärlichen Gehöften, lautlosen Baggerlöchern und Feldern mit Goldfasanen, Hasen und Hirschkäfern. Porn wohnte in einer Garage  an der  Fabrik, Lalka mit ihrer Mutter Leslie in einem zweigeschossigen Ziegelbau, etwas weiter entfernt. Beide Gebäude lagen an der Henkermenschstraße.

 

Zirpend und kieksend trennten sie sich vor Porns Garage. Lalka drückte ihr blaues Auge auf Porn und stakste weiter, schon ungeduldig von Leslie  erwartet, die ihr vollkommen glich, nur alt,  fett, verkrüppelt, und sie hatte einen juckenden Hyänenkopf, der barsch aus dem Fenster baumelte.   Lalka stieg in den ersten Stock, überschminkte  ihre felsigen Fissuren, strähnte ihre Haare zu scharfen Haken, eilte zu ihrer Mutter, kiekste, und dann schauten die beiden hinaus in die Nacht.

 

Über die Felder schritten die Hasen und Goldfasane paarweise. In Lalkas weit hinausragenden Haarsträhnen verfingen sich Hirschkäfer mit verspielt kneifenden Zangen. Leslie reckte ihren Hyänenkopf und ließ ihn, um den Juckreiz zu lindern, von den Goldfasanen pieksen.  Die  Hasen verbeugten sich voreinander.  Stumm glitt der blaue Schein aus Lalkas Auge über die Felder und Triften und überlagerte sich mit den phosphorizierenden Untiefen der Baggerlöcher. 

 

Hoch oben am Kühlturm kommandierte Giacco seine Puppen. “Kaputt!” keuchte er, und die grünen Puppen rasten  panisch durch den Käfig,  ihre grazilen Sprungbeine verhedderten sich am Gitter, immer wieder griff Giacco nach einer, zerdrückte ihr angstverzerrtes Köpfchen, warf sie hinunter in den Schlund des Kühlturms, oder er fing gleich mehrere ein und versengte ihnen mit seiner Zigarre die Sprungbeine.

 

Porns Garage hatte  ein Tor an der Henkermenschstraße, eine Gartentür und ein Fenster zu einem Schacht. Im Garten, der von einer hohen Mauer umschlossen war, stand ein Stuhl mit einer Illustrierten, der Boden war hart und versäuert, mit spärlichem Unkraut.

Porn trat ein. Sie überlebte zusammen mit Schneetropfen, einem weißlichen, hinauf- und hinunterschwebenden  Wesen im Schacht, mit hoher Stirn und strudelnden Flossen; oft sank es ins bodenlose Dunkel, stieg aber immer wieder nach oben zum Schachtfenster,  wo Porn die stickige Luft aus der Tiefe inhalierte.

Porn zirpte, Schneetropfen antwortete mit geräuschlosem Stirnrunzeln, zirpend und stirnrunzelnd führten die beiden ihre nächtelangen, unermesslichen Dialoge. 

Schneetropfen hatte an ihrem Rumpf einen schwarz lackierten Knauf, auf dem punktgenau ein vollendetes Glanzlicht schimmerte,  ebenso wie auf Porns Mund, einem Schönheitspunkt, einer Perle von polierter Vollkommenheit zwischen ihren tiefschwarzen, mondänen  Augenbögen, die das Licht in schmalen Streifen reflektierten.  Porn war von exquisiter, erlösender Imbezillität und elfenbeinfarbener  Geschmeidigkeit. Ihre schlanken Arme endeten in zarten Hufen, ihre Achselhöhlen waren mit zierlichen Ringen gepierct, ihr Kopf hatte die hauchfein ziselierten Linien einer Pagenfrisur  und weitere filgrane Narbentätowierungen bedeckten ihr mageres Gehäuse, das einen Duft von Mandel, Walnuß und Marzipan verströmte. Lasziv knickten ihre langen Beine ein, sie endeten in schwarzen Stiefeletten mit weißer Knopfleiste und nadeldünnen Absätzen.  Manche Henkermenschen gerieten beim Anblick von Porns unirdischer Vollkommenheit in eine solche Raserei, daß sie sich in geilster Wut die Zunge aus dem Rachen rissen.

 

Sie blickte in den Schacht. Das Fenster stand immer offen. Schneetropfen runzelte seine Stirn zu einer verlorenen Schrift und strudelte mit den Flossen,  Porn zirpte, setzte sich auf den Gartenstuhl, nahm die Illustrierte und blätterte darin. Sie hielt sie verkehrt herum. Porn konnte nicht lesen, auch keine Bilder entziffern, oder einen Zusammenhang zwischen Bild und Schrift erkennen.

 

Die Fabrik dröhnte. Die Kontinente verschwanden unter dem weißen Pulver.  Die Hasen und Goldfasane stapften hölzern durch die Pulverschicht.  Die Hirschkäfer konnten noch fliegen, hatten aber Mühe, auf den pulverbeschichteten Zweigen zu landen. Giacco stülpte sich einen Soldatenhelm über und wütete mit einem Ochsenziemer unter seinen Puppen.  Sie waren so scheu und grazil! Der teigige Qualm aus seiner Zigarre vermischte sich mit dem weißen Pulver zu einer schmierigen Atmosphäre. Porn dehnte ihre reinen, elfenbeinernen Glieder. Über ihr mageres Gehäuse flimmerte Lalkas blaues Augenlicht wie eine verblaßende Tätowierung. Das Wesen Schneetropfen war von einer zunehmenden Unruhe erfaßt, fieberhaft bebte seine Stirn, und es glitt ruhelos im Schacht hinauf und hinunter. 

 

An ihrem letzten Arbeitstag hatte Porn  einige Henkermenschen aus den verschiedensten Abteilungen der Fabrik eingeladen, sie kamen zu ihrem Bottich und ließen sich weißen.  Ausgelassen  suhlten  sie sich in der weißen Farbe, dann zog Porn sie mit einer Gabel heraus und fönte sie trocken, bis die weiße Farbe sie umschloß wie eine zweite Haut.  Vorsichtig, damit sie nicht aufplatzte,   verließen sie die  Abschiedsfeier, leicht gekrümmte, schlafwandlerisch schlurfende Henkermenschen in blendend weißen Krusten auf ihrem weiten Weg zu den Triften, Gehöften und Baggerlöchern.

Am späten Abend lehnte Porn am leeren Bottich.  Aus den dunklen Ställen der Fabrik tauchte ihre Nachfolgerin auf, Monroe, eine schwarze Silhouette mit glühenden Augen, die auf Zehenspitzen schlich, und  während sich Porn grußlos entfernte, warf Monroe schon die Komponenten der weißen Farbe in den Bottich und setzte die Mischflügel in Gang, denn die Kanonen arbeiteten auf Hochtouren.

 

Langsam verließ Porn die Fabrik.  Ihre nadeldünnen  Absätze hinterließen winzige Röhrchen im Pulverbelag der Henkermenschstraße. Sie betrat ihre Garage. Schneetropfen zuckte, Fieberschübe zerfurchten seine Stirn in brodelnden Schlingen. Porn zirpte. Schwaden weißen Pulvers verschlossen den Himmel. Sterne, Kometen und Monde waren in der pulverisierten, blickdichten Atmosphäre verschwunden. Porn setzte sich ans Fenster zum Schacht oder in den Gartenstuhl und blätterte in der verkehrt herum gehaltenen Illustrierten.  Sie blieb in ihrer Garage. Sie ging nicht mehr aus. 

 

Die Wucht der zähen Pulverschichten drosselten Lalkas permanentes Überschminken ihrer jahrhunderte alten Physiognomie, sie erlahmte, ihre kosmetisch zerklüfteten Krater erbleichten, Lalka kam zum Stillstand leichenblaß zwischen Porns Garage und ihrer Loge, sie wurde in einer massiven Pulverkammer eingeschlossen, kiekste stumm, wollte nach ihren Schminkutensilien greifen, aber die Pulverschichten verschluckten ihre kompletten Kosmetikkoffer, Lalka verschränkte sie ihre eleganten Fingernägel zu einem ersterbenden Zeichen und nur ihr blaues, stetig wachsendes Auge leuchtete teilnahmslos und hell im ununterbrochenen Pulverfall.

 

Leslies juckender Hyänenkopf stürzte vom Fensterrahmen und donnerte in einer zunehmenden Pulverlawine fort, die den Hasen die Schädelchen zertrümmerte. Das zierliche Hasenhirn flog in wattigen Streifen durchs Pulvertreiben. Giacco verqualmte tödlich an einer verschluckten Zigarre, seine Puppen sprangen ins Gefieder der Goldfasane, die Hirschkäfer zerfielen im Pulversturm, die Goldfasane flogen mit Giaccos Puppen hinauf ins Weltalll, und alle Henkermenschen verloren sich in den unendlichen Weiten der Pulverwüsten.

 

Porn  blieb in ihrem Glanz. Sie war noch nicht alt.  Aber war sie jemals jung gewesen, war sie groß oder klein? Welche Criterien! Unverändert hatte sich über Jahrhunderte ihre vollkommene Schönheit erhalten. Sie inhalierte die stickige Luft aus dem Schacht. Je mehr die Pulverschichten den Planeten umhüllten, desto heftiger raste Schneetropfen auf und ab, auf seiner Stirn prasselte die Fieberschrift, aber Porn konnte sie niemals lesen. Schneetropfens ehemals weiß leuchtender Rumpf war jetzt fleischig und gekocht, nur der lackierter Knauf behielt seinen kühlen Glanz. 

 

Auch die Existenz von Lalka war Porn entfallen.  Vom halluzinierenden Schneetropfen im Schacht bis zum Gartenstuhl spannte sich der Bogen ihrer unendlich luxuriösen Existenz. Immer weiter wehte das weiße Pulver  über den Planeten  und drang in die feinsten Poren der  Wesen und Dinge ein, hinunter in den Schacht,  füllte ihn mit seiner lichten Materie auf und erstickte Schneetropfen, dessen fieberverseuchte Mechanik ruckartig stehenblieb, ohne daß Porn die Botschaft auf seiner Stirn entziffert hätte, aber der schimmernde Knauf sprang aus der Halterung und landete zielgenau neben Porns Perlenmund, wo er sich augenblicklich festkrallte.

 

Die Pulversphäre wuchs um das Vielfache des Planeten, den die funkelnden Goldfasanen mit den grünen Puppen im Gefieder jubilierend umschwärmten, die Kanonen erloschen, hohe Pulverhauben verschlossen Monroe’s Augen, mit schlingerndem Schweif stürzte der Pulverriese durch das All, in dessen Zentrum das unermeßlich blaue, gigantische Auge Lalkas pulsierte, die grünen Puppen knisterten mit ihren Tüllkleidchen im luftleeren Raum, sie blickten erleichtert auf die vorbeifliegenden Sternbilder und den sich rasch entfernenden pulverisierten Planeten. Porn saß in einer Blase aus lichtem Weiß auf ihrem Gartenstuhl, mit verkehrt herum gehaltener Illustrierten, und in ihrer elfenbeinernen Physiognomie schimmerte Schneetropfens vollendeter Knauf.  Nie mehr wird sie schlafen.

 

 

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