Der Wilderer

 

 

Selten kommt man einem Wilderer so nahe, daß man ihn genau erkennen kann.

Dieser hier ist klein, drahtig und trägt einen Kapuzenmantel.

Seine Beine sind schnell wie ein Windrad, seine Knie sind weiß und zerkratzt.

Er ist komplett mit einem Schlauch und einer Tüte bewaffnet.

Er eilt zum Fluß, zu den Ottern. Wild schlägt sein Herz auf den verbotenen Pfaden, wie sollte es sonst schlagen?

Als er die Böschung zum Fluß hinuntersteigt , wird er von drei Mädchen umringt. Sie grinsen und klatschen ihm aufs Maul.

  „Da ist er ja, unser Vagabund!“

  „Unser lachender Vagabund!“

  „Unser Vagabund zum Totlachen! Her mit dem, der gehört uns!“

Die Mädchen stoßen den Wilderer ans Ufer. Besorgt hält er Schlauch und Tüte unter seinem Kapuzenmantel versteckt und denkt, „Die verziehen sich schon wieder, die sind gleich weg“.

 

Die grauen Wellen verströmen einen öden Flußgeruch.

„Lache, Vagabund, lach’ dich krank, lach‘ dich tot!“ grölen die Mädchen.

Aber da der Wilderer nicht lacht, kriegt er immer wieder was aufs Maul und auf sein feines, geschultes Wilderergehör.

„Wenn nur mein Trommelfell nicht platzt“, fürchtet er sich plötzlich, denn die Schläge der Mädchen sind hart.

„Wie heißt denn unser lachender Vagabund?“

Die drei Mädchen lassen ihn nicht los.

„Heißt du Pötsch?“

„Oder Pötz?“

„Oder heißt du Rotzpöpper?“

Sie kreischen vor Vergnügen und schlagen dem Wilderer kurz, schnell und pausenlos aufs Maul.

„Ich heiße Freddy,“ antwortet er höflich, verschweigt aber, daß er ein Wilderer ist, „und wie heißen Sie?“

Er verbeugt sich. Das ist für die drei zuviel, jetzt kriegt er es auf beide Ohren gleichzeitig, sein Trommelfell platzt, schlagartig fällt Freddy in den Fluß, sein wildes Fieber erlischt im grauen Flußwasser, und die drei Mädchen, eine in hellblauer Bluse und die beiden anderen mit Plastikschürze, haben nichts als Sauerfleisch zu bieten, und Sauerhaut, alles an ihnen ist versauert, säuerlich, angesäuert, und sie verbreiten einen stechenden, zähen Sauergestank.

„Aber ich will euer Sauerzeug gar nicht!“

Das sind Freddys letzte Worte, bevor sich der graue Fluß über ihn schließt, sein erloschenes Wildererherz im grauen Flußwasser nach unten schwebt, grauen Flußschlamm aufwirbelt und sanft darin einsinkt.

2000

 

 

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